Richtig streiten ohne Chef*in – aber wie? Fünf Thesen für den Umgang mit Konflikten in selbstführenden Teams

In jedem Team gibt es Konflikte. Diese zu besprechen und zu bearbeiten, kann für selbstführende Organisationen, d.h. Organisationen ohne formelle Leitung, eine Herausforderung sein. In einer Teamsupervision diskutierten wir die folgenden Thesen und möchten sie gern teilen:

1. Jede*r muss Verantwortung für das Miteinander übernehmen

Die Verantwortung dafür, aufkommende Kritik und Unstimmigkeiten im Team anzusprechen, liegt in einem höheren Maße als in geführten Teams bei jedem und jeder Einzelnen. Ohne Chef*in ist der Umgang mit Kritik und Konflikten im Arbeitsalltag von selbstführenden Organisationen eine Aufgabe, die kollektiv besprochen und bewusst verankert werden muss.

In selbstführenden Organisationen werden Konflikte zunächst in geeigneten Prozessen unter Kolleg*innen beigelegt. Der Impuls sollte daher aus einem Team selbst kommen. Wenn der Konflikt unter Kolleg*innen nicht beigelegt werden kann, kann eine externe Hilfe in Anspruch genommen werden (weiterer Kollege, externe Mediatorin).

2. Ein guter Plan hilft, in heißen Momenten einen kühlen Kopf zu bewahren.

Wenn der Konflikt schwelt oder aufbricht, ist es oft schwierig, sich einen guten Fahrplan für die Konfliktlösung zu überlegen. Unser Tipp daher: Es ist hilfreich, sich auf einen Modus und einen Prozess zur Konfliktlösung zu einigen. Und zwar in einem Moment, in dem der Streit noch nicht an Fahrt aufgenommen hat. Welche Schritte das sind, hängt von den Bedürfnissen des Teams ab.

Spannende Fragen sind zum Beispiel:

  • Wann lösen wir Konflikte zu zweit?
  • Wann tragen wir sie ins Team? Wann in die Gesamtorganisation?
  • Welche Verantwortung hat das Team, wenn ein Zweier-Konflikt immer wieder ins Gesamtteam ragt?
  • Wer aus dem Team oder der Organisation könnte eine vermittelnde Rolle einnehmen? Welche Mittel stehen uns für eine externe Unterstützung (z.B. Mediation, Schiedsgericht) zur Verfügung?
  • Wie gehen wir mit Konflikten um, die aus Diskriminierungsstrukturen entstehen? Welche Unterstützungsstrukturen können wir leisten, wo brauchen wir externe Unterstützung?

3. Ich übernehme Verantwortung, indem ich mich kennenlerne.

Wir haben alle unterschiedlich gelernt, zu streiten. Manche streiten laut, andere leise, manche schlagen Türen, andere sitzen es aus.

Was weiß ich über mein Konflikt– und Kommunikationsverhalten? Was bringt mich auf die Palme und was holt mich wieder runter? Welche Erfahrungen habe ich in beruflichen Kontexten gemacht und wie möchte ich im beruflichen Kontext kommunizieren und mit Konflikten umgehen? Was brauche ich dafür an Methoden und Unterstützung?

Wir sind überzeugt, dass es in jedem Team hilfreich ist, sich mit dem eigenen Konflikt- und Kommunikationsverhalten auseinanderzusetzen. Das befähigt uns, bewusster in Konfliktgespräche zu gehen und damit auch der Konfliktlösung näher zu kommen.

Im Miteinander im Team ist es zudem wertvoll, sich mit Konfliktdynamiken und -lösungsstrategien auseinanderzusetzen. Wie schaffen wir es, uns immer wieder bei Thema XY ineinander zu verhaken? Warum bei diesem Thema? Warum wir? Wie sind wir trotzdem immer wieder ins Arbeit gekommen? Und wo hat der Konflikt zur Klärung eines unklaren Prozesses oder Themas beigetragen?

4. Um mit Unterschiedlichkeit umzugehen, müssen wir Verständnis füreinander entwickeln.

Wie oft wundern wir uns innerlich über Kolleg*innen und fragen uns, warum sie einen anderen Weg der Problemlösung oder Arbeitsorganisation wählen als wir selbst. Unterschiedlichkeit gibt es in jedem Team. Zugleich muss jedes Team lernen, mit dieser Unterschiedlichkeit umzugehen. Hilfreich ist es dabei, eine vertrauensvolle Grundlage zu schaffen und einander (punktuell) besser kennenzulernen.

Was dabei hilft, entscheidet jedes Team selbst. Manche Teams etablieren eine Kultur des Storytellings oder schaffen gemeinsame Rituale (sei es der gemeinsame 9 Uhr Tee oder das jährliche Familienpicknick). Manche Teams gönnen sich ein mehrtägiges Retreat / Rückzugstreffen, andere verankern eine regelmäßige Teamsupervision im Arbeitsalltag.

Das schafft Vertrauen füreinander und Verständnis für die Kolleg*innen und trägt damit letztlich auch zur Identifikation mit der Organisation und zur Motivation für die gemeinsame Arbeit bei.

5. Was ich von mir im beruflichen Kontext zeige, darf ich selbst entscheiden.

Meine berufliche Rolle ist eine von vielen Rollen, die ich in meinem Leben einnehme. Ein Kennenlernen des Kollegen oder der Kollegin ist zwar hilfreich, um Verständnis zu entwickeln und Vertrauen zu stärken. Zugleich darf ich selbst aber auch eine Grenze ziehen, was ich von mir und meinem Privatleben preisgebe.

Über die Erwartungshaltung im Team, was wir teilen wollen und was nicht, können wir reden. Die Grenzen ziehen Menschen für sich an verschiedenen Punkten und das zu respektieren und dabei einen Weg zu finden, der für alle gut ist, ist eine Aufgabe für Teams und Organisationen. Eine Aufgabe, die letztlich dazu beiträgt, die Unterschiedlichkeit anzuerkennen und Respekt für die einzelnen Teammitglieder auszudrücken.

Richtig streiten ohne Chef*in – das Fazit:

Damit ein konstruktiver Umgang mit Konflikten in der Organisation verankert ist, braucht es:
1. entsprechende Haltungen und Kompetenzen bei den einzelnen Mitarbeitenden
2. geeignete Vereinbarungen und Abläufe
und 3. eine Kultur des gegenseitigen Respekts.

 

Ist der Umgang mit Kritik und Konflikten ein Thema in Ihrer Organisation? Wir begleiten Sie gern darin, Fragen, Ideen und Impulse dazu besprechbar zu machen und Lösungen zu entwickeln.

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